Besonders im vergangenen Jahre 1816, dem „Jahre ohne Sommer“, litten die Menschen unter schier unvorstellbaren Wetterkapriolen, wie sie bisher unbekannt waren. Auch die Schweiz blieb hiervon nicht verschont, und die schweren Zeiten, die folgten, haben tiefen Einfluss auf das Wohl des Volkes genommen. Doch mag man hierin den Beginn einer neuen Art der Fürsorge erkennen, welche zur künftigen Wohlfahrt aller führen könnte.
Es verwundert nicht, dass in Zeiten so grosser Not die Verzweiflung um sich griff und zu Unruhen führte. In den Städten stieg die Wut des Volkes, und man plünderte Bäckereien und Läden, da der Hunger nicht anders zu stillen war. Die Obrigkeit konnte das Aufbegehren nicht immer bändigen, und die Spannungen zwischen dem armen Volk und den wohlhabenden Bürgern nahmen zu.
Doch es war in jener Zeit auch zu bemerken, dass die Behörden nicht ungerührt blieben. Die Regierungen der Kantone begannen, den Hungernden Hilfe zu leisten, so gut sie konnten. Es wurden Armenhäuser eingerichtet, Suppenküchen eröffnet und die Verteilung von Brot und Suppe an die Bedürftigen organisiert. Doch diese Massnahmen blieben oft unzureichend, denn jede Stadt und jedes Dorf war auf sich selbst gestellt. Es fehlte eine gemeinschaftliche Leitung, die über alle Kantone hinweg den Mangel hätte lindern können.
Neben den staatlichen Bemühungen war es besonders die bürgerliche und kirchliche Wohltätigkeit, die viele Menschen vor dem völligen Verhungern bewahrte. Die Kirche nahm sich der Leidenden an und sammelte in ihren Gemeinden Spenden. Reiche Bürger, getrieben von christlicher Nächstenliebe, gaben, was sie konnten. In den Gemeinden gingen die Priester von Tür zu Tür und sammelten Brot und Münzen für die Bedürftigen.
Diese privatrechtlichen Hilfen erwiesen sich oft als wirkungsvoller als die Hilfen der Behörden. Doch blieb es den Einzelnen überlassen, das Wohl ihrer Mitmenschen zu sichern, was nicht für eine dauerhafte Ordnung sorgen konnte. Dennoch mögen diese Handlungen als erste Zeichen eines neuen Verständnisses von Nächstenliebe und sozialer Verantwortung gedeutet werden, wie sie in den kommenden Jahrzehnten die Gesellschaft immer mehr durchdringen sollten.
Die schweren Jahre haben in der Schweiz nicht nur Hunger hinterlassen, sondern auch eine tiefere Einsicht. Es ward offensichtlich, dass die bestehende Ordnung in Zeiten der Not unzureichend ist, um das Wohl aller zu sichern. Die Ungerechtigkeit, welche in der Verteilung des Reichtums und der Nahrung bestand, brachte die Frage auf, ob nicht eine neue, gerechtere Form der Fürsorge vonnöten sei.
Es regt sich bereits der Gedanke, dass es nicht den einzelnen Gemeinden oder Bürgern überlassen bleiben sollte, die Armen und Schwachen zu versorgen, sondern dass es eine gemeinschaftliche Pflicht des Staates sei, für seine Untertanen zu sorgen. Auch wenn dies bisher nur als Gedanke unter den Philosophen und einigen wenigen Vordenkern existiert, so könnte die Erfahrung der Not und des Leidens den Grundstein legen für künftige Reformen.
Mögen die bitteren Erfahrungen des Jahres 1816 und 1817 als ein Weckruf verstanden werden, der die Herzen öffnet und die Menschen auf den Pfad zu einer neuen Ordnung der Gesellschaft führt. Die Armenhäuser, Suppenküchen und die Organisation der Hilfe durch die Behörden sind ein erstes Zeichen, dass der Staat sich seines Auftrags bewusst wird. Es ist die Erkenntnis gereift, dass der Staat nicht nur in Zeiten des Friedens und Wohlstandes seine Bürger schützt, sondern auch in Zeiten der Not.
In den kommenden Jahren wird es entscheidend sein, ob die Schweiz diese erste Lektion aus der Not erkennt und zu einer Ordnung findet, die das Wohl aller Menschen sichert, sei es in Zeiten der Not oder des Friedens. Schon jetzt erwacht der Gedanke, dass der Staat, wie der Vater einer grossen Familie, für das Wohl aller Sorge zu tragen hat und dass das gemeinsame Gut durch weise Gesetze und gerechte Verteilung geschützt werden muss.
Der Ausbruch des fernen Vulkans hat der Welt gezeigt, wie abhängig wir von den Kräften der Natur sind. Doch zugleich lehrt uns diese Zeit der Not, dass der Mensch nur im Miteinander bestehen kann. So mag diese Krise der Beginn einer neuen Zeit der Fürsorge sein, in der die Starken den Schwachen zur Seite stehen und der Staat zum Schutze aller handelt.